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Suhrkamp Verlag Leseprobe Gal-Ed, Efrat Das Buch der jüdischen Jahresfeste © Suhrkamp Verlag suhrkamp taschenbuch 4855 978-3-518-46855-5 suhrkamp taschenbuch  Jüdische Jahresfeste wie das Laubhüttenfest von Pessach durchliefen Jahrhunderte der Umwandlung und Verdichtung, bis sie zu ihrer feststehenden Gestalt und Bedeutung fanden. Um den religiös-historischen Kern herum entwickelte sich eine reiche folkloristische Tradition. Legenden, Lieder und besondere Gerichte begleiten bis heute die Liturgie. Efrat Gal-Ed berichtet, wie die Feste entstanden und was in ihnen heraufbeschworen und gefeiert wird. Ihr Buch der jüdischen Jahresfeste schöpft aus dem farbigen Schatz religiöser und literarischer Überlieferung ebenso wie aus eigenen Erlebnissen und familiärer Tradition. Ein ausführliches Glossar und ein Register erleichtern die Benutzung dieses Leseund Handbuchs. Die Autorin macht das Besondere der jüdischen Feste anschaulich, in denen sich das Gedenken als Bindung an die Vergangenheit mit dem Hoffen auf die Erlösung vereint. Efrat Gal-Ed, geboren  in Tiberias, Israel, studierte Judaistik, Germanistik und Komparatistik sowie Malerei und promovierte und habilitierte sich in Jiddistik. Sie lebt als Malerin und Autorin in Köln und lehrt jiddische Literatur und Kultur an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. Im Jüdischen Verlag erschienen: Efrat Gal-Ed, Niemandssprache. Itzik Manger – ein europäischer Dichter (); Itzik Manger, Dunkelgold, Gedichte, Jiddisch und deutsch, herausgegeben und übersetzt von Efrat Gal-Ed (). Efrat Gal-Ed Das Buch der jüdischen Jahresfeste Mit Abbildungen Suhrkamp Revidierte Neuausgabe des  im Insel Verlag erschienenen Werks Erste Auflage  suhrkamp taschenbuch  © Suhrkamp Verlag Berlin  Suhrkamp Taschenbuch Verlag Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das der Übersetzung des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfäÌltigt oder verbreitet werden. Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus Satz: Satz-Offizin Hümmer GmbH, Waldbüttelbrunn Druck und Bindung: CPI – Ebner & Spiegel, Ulm Printed in Germany ISBN ---- der Seele Geula meiner Mutter in Liebe und Dankbarkeit Inhalt Vorwort  Vorbemerkung zur zweiten Auflage  Umschrift hebräischer Wörter  Fest und Kalender  Pessach  Schawu‘ot  Tisch‘ah b e-’Aw  Ro’sch ha-Schanah  Jom Kippur  Ssukkot  Chanukkah  Tu bi-Sch ewat  Purim  Abschließend  Zu den Abbildungen  Farbtafeln  Anmerkungen  Quellen  Bildnachweis  Begriffe, Personen und Quellen  Ausgewählte Bibliographie  Register  Stellenregister  Abbildung Seite  Drehbare Rädchen zur Berechnung der vier Jahreszeiten, die im jüdischen Kalender mit den Monaten Tischrej, Tewet, Nissan und Tammus beginnen. Aus ‘Ewronot, Kalenderregeln mit Tabellen. Handschrift ./. Jh.  Die Feiertage verkörperte vor allem die Mutter. An den Vortagen standen wir, Geschwister, mit ihr in der Küche und bereiteten die traditionellen Gerichte nach ihrer Art vor. In der Küche vermischten sich süße, würzige und scharfe Düfte, wir sangen und lachten viel. Meine Mutter kannte neben den traditionellen Liedern auch die in Israel entstandenen. Danach wurde geputzt, geschmückt, zum Schluß kamen die großen weißen Tischdecken auf den ausgezogenen Eßtisch und die Blumen auf den niedrigen Wohnzimmertisch. Und wir zählten noch einmal nach, ob für alle, Familie und Gäste, genug Platz war. Zur Vorbereitung des Festes gehörte die Frage, was ziehen wir an; passen die alten Feiertagskleider noch, oder muß ein Kleid genäht, eine Bluse gekauft werden. Die Vorbereitungen sollten bis zum Mittagessen beendet sein, denn darauf folgte die obligatorische Nachmittagsruhe. Danach war meine Mutter immer in selbstgenähten weißen Kleidern erschienen. Es waren jahrelang dieselben, aus dünnem Stoff im Sommer, aus dickerem im Winter. Sie setzte sich in den alten, schweren Holzsessel im Wohnzimmer, entspannt und bereit, das Fest zu empfangen. In diesem ruhigen Moment, im schwindenden Licht wartete ich mit ihr auf die Familie und die Gäste, auf das Erscheinen der ersten Sterne. In diesem Warten begann das Fest vor seinem liturgischen Beginn. Sie zeigte mir, wie man schnell Nüsse knackt und vom Propheten Elia erzählt. Ihre Lieder und die rituellen Speisen am Vorabend von Ro’sch ha-Schanah brachten mir Ehrfurcht vor dem Jahreswechsel bei. Mit ihr sang ich in der winterlichen Stille den Segen für die Chanukkahlichter, und sie erzählte von den Makkabäern und dem Tempel. An Schawu‘ot feierten wir nicht nur die Offenbarung am Berg Sinai, sondern auch ihren Geburtstag. Was diese Ta-  Vorwort ge überliefern, war ihr selbstverständlich; von ihr ging der Zauber der Feste aus. Das war unsere Tradition. Das sind meine Wurzeln. Die alten jüdischen Feste sind in der Torah vorgeschrieben, Bedeutung und Ritual knapp benannt. Die Kürze verlangte nach ergänzender Erläuterung, um die Gestalt des Festes zu vervollständigen. Die Auslegungen in Mischnah und G emara’ legten Ritual und Brauch fest, deuteten den Sinn des Festes, ergänzten Fehlendes und schufen normative Festbilder, die unser Verständnis der Feiertage bis heute prägen. Im Lauf der Zeit entwickelten sich um den historischen Kern weitere Auslegungen, Legenden, Bräuche und eine reiche folkloristische Tradition. Daher unterscheidet sich die Art, wie ein Fest begangen wird, von Gemeinde zu Gemeinde in Brauch und liturgischem Detail. Der Verwandlungsprozeß der Festgestalt dauerte bei den ältesten Festen Jahrtausende. Ihr Ursprung liegt im Dunkel. Die unterschiedliche, nicht immer übereinstimmende und zum Teil widersprüchliche Darstellung der Feste in der Torah entstammt, wie die kritische Bibelforschung zeigte, verschiedenen Quellen (›Urkundenhypothese‹) und ihrer Entwicklung. Andere Wissenschaftler versuchten, aus dem Vergleich mit Mythen und Riten benachbarter Kulturen den historischen Hintergrund und den ›Sitz im Leben‹ der hebräischen Feste zu verstehen. Auf diese Forschungen gründen viele Rekonstruktionsversuche der ursprünglichen Gestalt und Bedeutung der Feste. Bei ihrer schriftlichen Festlegung, in der Torah, wurden die meisten Feste zur gemeinsamen Geschichte in Beziehung gesetzt. Die Historisierung gab den jüdischen Festen schon sehr früh ihren wesentlichen Charakter: sie gedenken und prägen das Gedächtnis. Sie gedenken des Auszugs aus Ägypten, der Wanderung durch die Wüste oder der Of- Vorwort fenbarung am Berg Sinai. Zugleich aber bindet jedes Fest in seine besondere Symbolik den Erlösungsgedanken ein. Die messianische Zukunft umfaßt mehr als Wiederherstellung von Werten und Errungenschaften der Vergangenheit, wie Königreich und Tempel. Sie verspricht »neue Himmel und eine neue Erde« ( Jesaia :  ), das Zusammenleben aller Geschöpfe in Frieden und Harmonie und vieles mehr. Diese utopische Hoffnung auf das goldene Zeitalter der Endzeit durchzieht den jüdischen Alltag und besonders die heiligen Tage des Jahres. So sind die jüdischen Jahresfeste überlieferte Zeitpunkte, in denen das Vergangene und das Zukünftige für einen wiederkehrenden Moment als Gottes Nähe Gegenwart werden. Welche Gründe zur Bestimmung der Festzeit führten, heiligen Tag und Bedeutung miteinander verbanden, waren die Fragen, die mich motivierten. Ich fand mehrere Entstehungsgeschichten, Rekonstruktionsvorschläge, viele Überlieferungen, Legenden und folkloristische Traditionen. Das Buch enthält einen Teil davon. Auf deutsch liegen bereits Bücher vor, die der praktischen Orientierung gewidmet sind. Im Mittelpunkt dieses Buches steht die geschichtliche Verwandlung der Feste und ihrer Bedeutung als Verkörperung von heiliger Zeit. Im abschließenden Kapitel versuche ich den Zusammenhang der Feste, den Festzyklus, den jüdischen Jahreskreis als ein Ganzes zu zeigen. Da das Buch den Jahresfesten gewidmet ist, wird Schabbat, der wöchentliche Feiertag, hier nicht näher dargestellt. Anmerkungen zu den einzelnen Kapiteln und die Quellennachweise befinden sich am Ende des Buches. Die Anmerkungen enthalten weitere Ausführungen zu einigen Begriffen und eine ausgewählte themenbezogene Bibliographie.   Vorwort Der Einfachheit halber wurden hebräische Wörter in einer der deutschen Aussprache entsprechenden Umschrift wiedergegeben und im laufenden Text erläutert. Ferner findet der Leser am Ende des Buches Erläuterungen zu den angeführten hebräischen Wörtern, zu Personen und Quellenliteratur, eine ausgewählte Bibliographie sowie ein allgemeines und ein Stellenregister. Dieses Buch wäre ohne Hilfe anderer nicht entstanden. Ihnen allen gehört mein besonderer Dank. Im einzelnen danke ich meinen Lehrern den WDR -Redakteuren Werner Fuhr, Ekkehard Pohlmann und Anke Remberg, und dem NDR -Redakteur Ralph Ludwig, ihre Sendungen setzten den Prozeß in Gang Ruth Kraft, sichronah li-w erachah, sie war elf Jahre lang die erste Zuhörerin meiner Funkmanuskripte Birgit Vanderbeke, die mich in der Arbeit bestärkte, wenn ich glaubte, den Abstand verloren zu haben den Professoren Marion Aptroot, sie machte mich auf Aufsätze von Chone Shmeruk aufmerksam und half mir großzügigerweise das Register zu erstellen; Gerit Bos und Y. Tsvi Langermann für wichtige Hinweise zum Thema Astrologie im rabbinischen Denken; David King für bibliographische Hinweise zum Thema Zeitmessung; Aditya Malik für bibliographische Hinweise zum hinduistischen Festkalender; Günter Mayer für die Beantwortung vieler Fragen und für das kritische Lesen des ganzen Manuskripts; Dov Noy insbesondere für seinen Aufsatz über den Propheten Elia; Berndt Schaller für die Korrektur der Übersetzungen aus dem Äthiopischen und für wertvolle Hinweise, Erika Timm vor allem für ihr unveröffentlichtes Vorlesungsmanuskript zu chad gadja’, für ihre wichtige Hilfe bei meinen Recherchen zu den Minhagim-Büchern und für die Anregung, das Buch zu schreiben Vorwort Raphael Weiser, Leiter der Handschriftenabteilung, National- und Universitätsbibliothek Jerusalem, für die hilfreiche Beantwortung vieler Fragen aus der Ferne und für die Unterstützung vor Ort Falk Wiesemann für bibliographische Hinweise zu den hier abgebildeten Holzschnitten Yael Zirlin für ihre lehrreichen Hinweise zu Machsor München cod. hebr. / I und / II Shlomo Zucker für seine erhellende Erklärung der Widmung auf dem Frontispiz der ersten deutschen Talmud-Ausgabe Herzliah Ras, die mir ihr privates Archiv öffnete einem freundlichen jungen Mitarbeiter der Hochschule Beit Berl, bei Kfar Sava, dessen Namen ich leider nicht mehr weiß, der mir an einem regnerischen Abend, lange nach Ende der Öffnungszeit, die Hefte der mir kostbar gewordenen Reihe Mehqere Hag, ›Festforschungen‹, in die Hand drückte Edna Hechal, Leiterin der Israeli Folktale Archives, University of Haifa, die mir unermüdlich Schätze aus diesem Archiv zur Verfügung stellte Annette Haller, Leiterin der Germania Judaica, Kölner Bibliothek zur Geschichte des deutschen Judentums, und ihren Mitarbeiterinnen Rita Rahmann und Elke Rieck; Rachel Heuberger, Leiterin der Judaica-Abteilung der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt, ihren Mitarbeiterinnen sowie Günter Kroll von der Handschriftenabteilung; Paul Dannhauer, stellv. Leiter der Orientabteilung der Bayerischen Staatsbibliothek; Eva Horváth-Stenzel und Marion Sommer, Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg; sowie Amalia Ben-Nathan, Leiterin der Rara-Abteilung, National- und Universitätsbibliothek Jerusalem, für die überaus freundliche Kooperation Kalima Vogt und Monika Walden für ihr Gehör   Vorwort Johannes Wachten für wertvolle Hinweise zu Sidur Sefat Emet K. Parvathi Kumar, er zeigte mir einen Weg zum Verständnis der Verbindung von Zeit und Bedeutung Christoph Meckel, der mich erleben ließ, daß Deutsch auch meine Sprache ist. Er begleitete aus der Ferne die Entstehung des Manuskripts und machte wertvolle Korrekturvorschläge Hans-Ulrich Müller-Schwefe, seine Offenheit und einfühlsame sowie großzügige Unterstützung machten dieses Buch möglich Ittai Joseph Tamari, für seine unschätzbare unermüdliche Begleitung und für alle Aufsätze und Bücher meiner Familie für Geduld und Vertrauen, meinem Vater, Meir Gal-Ed, für die reiche Bibliothek, die er uns Kindern zur Verfügung stellte, meiner Schwester, Yael Berger, für wichtige Hinweise zur Entstehungsgeschichte israelischer Lieder, meiner Schwester, Noga Gal-Ed, für unzählige heitere Stunden in der Küche bei gemeinsamen Vorbereitungen der Feste. Selbstverständlich trägt keiner von ihnen Verantwortung für das, was ich geschrieben habe, für meine Reise durch den jüdischen Jahreszyklus und seine sich wandelnden Lebensräume. Köln, Februar   Vorbemerkung zur zweiten Auflage Die erfreuliche Entscheidung des Verlags, das Buch wieder aufzulegen, bot mir die Gelegenheit, dieses zu revidieren, viele Stellen zu überarbeiten und die Literaturangaben in den Anmerkungen, im Glossar (»Begriffe, Personen und Quellen«) und in der ausgewählten Bibliographie zu aktualisieren und ergänzen. Die Korrektur meiner Übersetzung eines der biblischen Gottesnamen möchte ich hier erläutern: In der hebräischen Bibel werden überwiegend zwei Gottesbezeichnungen verwendet, ’ elohim und JHWH . ’ elohim, eine Pluralbildung von ’ eloah, ›Gott‹, wird mit Gottes Rolle als Schöpfer und Richter, JHWH mit seiner Eigenschaft als sich erbarmender und sich Mose und Israel offenbarender Gott (Exodus : ) assoziiert. Der Name JHWH (auch ›Tetragrammaton‹) läßt sich von der Wurzel hjh, ›sein, werden‹, ableiten und erinnert an die Antwort, die Mose erhielt, als er Gott nach seinem Namen fragte: ’ehjeh ascher ehjeh […] ehjeh sch elachani ‘alejchem, ›ich werde sein, der ich sein werde und er sagte, so sollst du den Kindern Israel sagen ehjeh schickte mich zu euch‹ (Exodus : ). Auf welche Weise JHWH ursprünglich vokalisiert, wie der Name tatsächlich ausgesprochen wurde, läßt sich nicht eindeutig beantworten. Bereits zur Zeit des Zweiten Tempels wurde JHWH als heilig erachtet, nur von den Priestern im Tempeldienst ausgesprochen, sonst aber durch die Aussprache ’adonaj, ›Herr‹ ersetzt. Während sich ’ elohim mit ›Gott‹ übersetzen läßt, bleibt JHWH unübersetzbar. In der Erstausgabe dieses Buchs folgte ich der Tradition, die JHWH als ›der Ewige‹ wiedergibt. Für die vorliegende Ausgabe entschied ich mich, diesen Namen als solchen zu belassen, ihn nicht zu übersetzen.