Ingolstadt
Der Zukunft zugewandt

Vor 50 Jahren ging im Scheiner-Gymnasium der vermutlich erste Schulcomputer Bayerns in Betrieb

17.02.2021 | Stand 21.02.2021, 3:33 Uhr
  −Foto: Klemens Krause/Computermuseum Stuttgart, Eberl (Archiv)

Ingolstadt - Die Technik der Zukunft hatte Löcher.

Viele Löcher. In lange Papierstreifen gestanzt, entfalteten sie ein für Laien unergründbares System. Ein Dilector speiste die Löcherreihen in den schreibmaschinengroßen Operator ein und setzte damit komplexe Rechenvorgänge in Marsch - was das Mathematikbuch für die gymnasiale Oberstufe hergab. Die grau-grüne Maschine mit den schwarzen und weißen Tasten beherrschte die Grundrechenarten, konnte Wurzeln ziehen, potenzieren und sogar mit Vorzeichen rechnen. Der Wunder nicht genug: Schon nach 43 Sekunden berechnete der Operator die Eulersche Zahl e (etwas für Fortgeschrittene) exakt auf acht Stellen hinter dem Komma. Der Präsentator dieser technischen Kunststücke, so ist es im DONAUKURIER überliefert, muss sehr beseelt agiert haben: Fritz Voit, Studiendirektor am Christoph-Scheiner-Gymnasium. Dort, im Physiksaal, begann im Februar 1971 das EDV-Zeitalter an Schulen: Die altehrwürdige Lehranstalt erhielt einen Computer! Sciene Fiction im bayerischen Bildungswesen. Das Raumschiff Enterprise kam näher.

Es soll sogar der erste Schulcomputer im Freistaat gewesen sein, wie Voit hervorhob: ein Combitron S der Firma Diehl in Nürnberg. Top-Ware. Ein Gerät, das man programmieren konnte. Jeder Rechenvorgang sei auf einen Zifferncode auf den Lochstreifen zurückzuführen, mit denen der Operator gefüttert werde, erklärte Voit bei der Erstinstallierung vor 50 Jahren. Der Naturwissenschaftler geriet ins Schwärmen, pries den Combitron S für dessen Fähigkeit, "logische Entscheidungen zu treffen" und beschrieb die "Unerschöpflichkeit von Kombinationsmöglichkeiten" beim Programmieren. Moderne Zeiten im Scheiner. Nach seiner Bedeutungsberechnung kam Voit zu dem Ergebnis: "Ein vollendeter Computer. "

Die Schülerinnen und Schüler des Scheiner-Gymnasiums sollen nicht alle von der neumodischen Erwerbung sofort elektrisiert worden sein, verriet der DK: "Ein Spielzeug für die Mathelehrer", lästerten einige.

Da irrten die Jugendlichen. Im selben Jahr wurde Informatik in Bayern als Wahlfach für die Oberstufe eingeführt. "Die Einsicht in die Notwendigkeit, den Unterricht den Forderungen unserer Zeit anzupassen, gewinnt an Boden", schrieb die Lokalredaktion des DK. Und im Bayernteil hieß es wenig später: "Vorerst freilich müssen nicht nur die Schüler, sondern auch die Lehrer die Computersprache auf der Schulbank lernen. " Kultusminister Hans Maier (geboren 1931, im Amt von 1970 bis 1986) zeigte sich Visionen zugewandt: "Das elektronische Klassenzimmer ist damit kein Zukunftstraum mehr", erklärte der CSU-Politiker. Ein Satz, der 50 Jahre später, mitten im Corona-Homeschooling, so manchen Schülerinnen und Schülern womöglich ein müdes Lächeln abringt. Aber wir merken uns: Man darf die Vergangenheit nie aus der Perspektive der Gegenwart bewerten.

Dass nach der Pioniertat in Ingolstadt noch lange nicht an flächendeckenden Informatikunterricht zu denken war, lag vor allem daran, dass die Geräte unglaublich teuer waren, schreibt Klemens Krause, der Leiter des Computermuseums Stuttgart, in seinem Beitrag für den DK (siehe Kasten).

1971 konnte sich Fachbetreuer Voit zumindest Oden an den Sachaufwandsträger sparen, denn die Stadt Ingolstadt hatte keinen Pfennig zugezahlt. Der Kauf des Combitron S verdankte sich großzügigen Ingolstädtern aus der Wirtschaft, darunter Wilhelm Neuwald, Finanzchef der Audi NSU Auto-Union AG, und einige Bankdirektoren. Auch der Lions Club und sein Präsident Hermann van Schoor sammelten kräftig Geld für den wohl ersten Schulcomputer Bayerns. Der kostete 10500 Mark; eine enorme Summe. Zum Vergleich: Einen neuen Audi 100 GL mit "Spezial-Luxusausstattung" gab es 1971 für rund 11800 Mark.

Ein Lehrer, der sich mit Begeisterung dem Computer widmete und ihn den Schülern näher brachte, war Erich Lenk; er starb 2018. An ihn erinnert Werner Kundmüller, Scheiner-Lehrer im Ruhestand und in der Geschichte des Hauses sehr bewandert. Lenk habe sogar Bücher über den Computereinsatz veröffentlicht. Kundmüller ahnt auch, was aus dem Combitron S des Scheiners geworden ist: "Er wurde wohl bei der letzten Räumungsaktion vom Speicher entfernt. " Brandschutz erfordere leere Räume. Da hatte der historische Rechner keine Zukunft mehr.

DK